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Modell des Monats Juli 2023 Nieuport

Wachgeküsst:  Eddie Rickenbackers Nieuport N. 28 C-1

Vom Original zum Modell

Ein eigenständiger Teil der Sammlungen des Luftfahrtmuseums Hannover-Laatzen sind die mehr als 1.000 Maßstabsmodelle, vornehmlich der internationalen Standards 1/72, 1/48 und 1/32.

Solche originalgetreuen Miniaturen ermöglichen Betrachtern musealer Technikgeschichte den „Überblick“, nicht allein auf das einzelne Exponat (mitunter sogar als einzige Möglichkeit der realen dreidimensionalen Schau, wenn es kein erhaltenes Original mehr gibt), sondern auch auf Entwicklungslinien des Flugzeugbaus durch hier mögliche Reihung und Gegenüberstellung. Manchmal schließen sie sogar Lücken in der Präsentation der Originale. Ihre kunsthandwerkliche Qualität allein ist ein Schauvergnügen.

Die Nieuport N. 28 im Maßstab 1/72. Gebaut von Günter Gelbke aus Hannover, steht dieses Modell als exakte Nachbildung des französischen Jägers im Dienst der amerikanischen Streitkräfte 1918 in einer Modellvitrine der Halle 1

Heute stellen wir Ihnen in unserer Reihe ´Modell des Monats´ den einmotorigen Jagdaufklärer Nieuport N. 28 C-1 vor, der erst im zweiten Anlauf zu einem berühmten Flugzeug des ersten Weltkrieges wurde.

Die Modelle:                     Typenreihe

Das Museum präsentiert – neben einem Nachbau des Nieuport-Typs 17 in Originalgröße – mehrere Konstruktionen des französischen Flugzeugbauers Nieuport im Maßstab 1/72 in seinen Modellvitrinen zum Weltkrieg 1914 - ´18. Neben der N. 12 und der N. 17 sind dies die Typen „Bebe“, N. 27 und natürlich die N. 28. Das Titelmodell dieses Artikels ist der Revell-Bausatz von 2008, welcher bis auf die aus gezogenem Plastikgrat gefertigte Verspannung „out of the box“ gebaut wurde.

Und dies ist die Nieuport N. 28 C-1 von Eddie Rickenbacker im bei den US-Fliegern 1918 gebräuchlichen Tarnanstrich – und mit auf die Tragflächen geklebten Propagandaplakaten, auf denen eine junge Dame nachdrücklich zum Kriegsdienst auffordert – ersatzweise zum Zeichnen von Kriegsanleihen.

Das Original:                    Uncle Sam küsst Mauerblümchen wach

…oder: vom unverhofften Erfolg einer Notlösung.

Na, das war knapp. Um ein Haar hätte es von diesem französischen Flugzeug nur drei Prototypen und keine Geschichte gegeben. Denn als das französische Oberkommando im Sommer 1917 dringend einen neuen Standardjäger suchte, entschied man sich für die SPAD S XIII aus dem Hause Blériot; damit stand das Konkurrenzmodell, die Nieuport N. 28 vor dem Aus. Zum großen Glück nicht allein für Frankreich, sondern speziell auch für die eingeführte Konstruktionswerkstätte Nieuport traten die USA just zu dieser Zeit an der Seite der Alliierten in den Krieg ein, landeten ihre Truppen in Europa an, und gedachten ihre American Expeditionary Forces AEF vor Ort mit dem besten französischen Jäger auszustatten. (Stahlhelme für ihre Infanterie erhielten sie immerhin von den Briten...) In den Reihen der AEF kam ein 26jähriger Mechaniker nach Europa, dessen Eltern 35 Jahre zuvor aus der Schweiz in die USA ausgewandert waren, und der dort bereits Automobilrennen gefahren und einen Geschwindigkeitsrekord von 214 km/h aufgestellt hatte. Auf diesen jungen Mann kommen wir später noch zu sprechen.

 

So kompakt wie elegant. Der starke, jedoch nicht immer zuverlässige Umlaufmotor Gnome-Rhone trieb eine hölzerne Starrluftschraube an.

Second best

Zunächst aber soll vom Flugzeug die Rede sein. Die französische Armee, militärisch mit dem Rücken an der Wand, konnte und mochte keine einzige SPAD entbehren. Als Ersatz kam nun die von Gustave Delage entworfene Nieuport N. 28 zum Zuge: Der Typ, angetrieben von einem Gnome-Rhone 9Zylinder-Umlaufmotor, war produktionsreif, die Werkstätten eingerichtet. Denn nach den Erfolgen mit den Typen N. 17 und N. 27 und grundsätzlich befriedigenden Testflügen hatte man bei Nieuport mit einem Großauftrag gerechnet. Tatsächlich aber war die SPAD letztlich das bessere Flugzeug, um der Wahrheit und der technischen Kommission im Oberkommando die Ehre zu geben.

Vorgänger der N.28 war die erfolgreiche Nieuport N. 17, hier in 1/72 fürs Luftfahrtmuseum ebenfalls gebaut von Günter Gelbke, daneben zwei französische Infanteristen
Vorgänger der N.28 war die erfolgreiche Nieuport N. 17, hier in 1/72 fürs Luftfahrtmuseum ebenfalls gebaut von Günter Gelbke, daneben zwei französische Infanteristen.

Der Bedarf war groß, die Zeit drängte, und so wurde man sich schnell einig. Uncle Sam küsste die schlafende Prinzessin wach – die Amerikaner bekamen von den dann insgesamt gebauten 300 Nieuport N. 28 genau 297 Stück. Sie errichteten ihrerseits binnen weniger Wochen in Frankreich eine Logistik-, Reparatur- sowie Ausbildungsorganisation für ihre Fliegertruppe: Respekt! (Während unser junger Mechaniker sich prompt zum Pilotenlehrgang anmeldete. Mit der Referenz eines Automobilrekordfahrers und Motorenexperten wurde er selbstverständlich zur Ausbildung angenommen.)

Gefährlicher Gegner

Kurz darauf erreichten die ersten N. 28 die Staffeln des US-Army Air Service. Mit einem Schönheitsfehler allerdings: Die Maschinen wurden unbewaffnet geliefert, Maschinengewehre scheinen Anfang 1918 knapp auf alliierter Seite gewesen zu sein. So waren die ersten Einsätze im März 1918 reine Patrouillen- und Aufklärungsflüge. Doch schon bald hatte die AEF ihre Maschinen mit je zwei 7.65 mm-Browning-MG armiert, die auf der linken Bugseite montiert wurden. Und die den nur 6,40 m langen und leer 420 kg leichten Doppeldecker mit einer Höchstgeschwindigkeit von rund 200 km/h zu einem gefährlichen Gegner für die deutsche Fliegertruppe machten.

Gegner im letzten Kriegsjahr 1918 – die N. 28 und die deutsche Fokker D VII; auch letztere ein Revell-Bausatz.

Von ch zu ck…

Und nun kommen wir auf den jungen Amerikaner Schweizer Abstammung zurück, von dem bereits die Rede war: Wegen antideutscher Ressentiments in den USA hatte er seinen Familiennamen von Rickenbacher in Rickenbacker geändert und sich einen zweiten, „unverdächtigen“ Vornamen zugelegt: Als Edward ´Eddie´ Vernon Rickenbacker wurde er, kaum der Flugschule entwachsen, im letzten Halbjahr des ersten Weltkrieges mit 26 Luftsiegen zum erfolgreichsten US-amerikanischen Jagdflieger dieses Orlogs. Er flog sowohl die N. 28 wie die SPAD (man war dann wohl doch froh, dass die AEF da war…), verteilte seine Abschüsse auf beide Typen und wurde als ´Ace of the Aces´ zum amerikanischen Helden. Mit ihm – und weiteren erfolgreichen Piloten des US-Army Air Service – verdiente sich schließlich auch der Nieuport-Typ 28 einen besonderen Platz in der Luftfahrtgeschichte.

In dieser Ansicht gut zu erkennen ist die Vollverkleidung des Umlaufmotors und das obere der beiden Browning-MGs auf dem linken Rumpfbug.

Nach dem Krieg gründete Rickenbacker übrigens eine Automobilfirma und wurde 1938 Präsident der amerikanischen Luftfahrtgesellschaft Eastern Airlines. Er überlebte 1941 einen Flugzeugabsturz bei Atlanta und 1942 die Notwasserung einer B-17 mit anschließender 24tägiger Seenot im Pazifik. Scheinbar unsterblich, erwischte es ihn 83jährig 1973 in der alten Heimat: er starb in Zürich an einer Lungenentzündung – auf der Suche nach einem Facharzt für seine Frau.

Full Circle

Nachsatz: Die Schweizer Flugwaffe hatte aus zurückgelassenem Rüstungsgut der AEF kurz nach Ende des 1. Weltkrieges vierzehn N. 28 erworben, die sie rund sieben Jahre als Übungsflugzeuge betrieb, und von denen eine noch heute im Schweizer Verkehrshaus ausgestellt ist – so schließt sich der Kreis dieser Geschichte.

Noch keine Stars & Stripes. Unteransicht des kleinen und agilen Jägers mit den Kokarden des US-Army Air Service. Ab 1923 dienten ein paar N. 28 in der Schweizer Flugwaffe als Trainer.

Und wenn Sie solche Biografien und Technikgeschichten ebenso spannend finden wie wir, dann sollten wir uns persönlich kennenlernen – kommen Sie doch mal im Luftfahrtmuseum vorbei! Sie finden uns in der Ulmer Straße gegenüber dem hannoverschen Messegelände.  

sb